Vertrag zur Gründung der Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft vom 25. März 1957; Auszug
"Präambel
SEINE MAJESTÄT DER KÖNIG DER BELGIER, DER PRÄSIDENT DER BUNDESREPUBLIK
DEUTSCHLAND, DER PRÄSIDENT DER FRANZÖSISCHEN REPUBLIK, DER PRÄSIDENT DER
ITALIENISCHEN REPUBLIK, IHRE KÖNIGLICHE HOHEIT DIE GROßHERZOGIN VON LUXEMBURG,
IHRE MAJESTÄT DIE KÖNIGIN DER NIEDERLANDE -
IN DEM FESTEN WILLEN, die Grundlagen für einen immer engeren Zusammenschluß
der europäischen Völker zu schaffen,
ENTSCHLOSSEN, durch gemeinsames Handeln den wirtschaftlichen und sozialen
Fortschritt ihrer Länder zu sichern, indem sie die Europa trennenden Schranken
beseitigen,
IN DEM VORSATZ, die stetige Besserung der Lebens- und Beschäftigungsbedingungen
ihrer Völker als wesentliches Ziel anzustreben,
IN DER ERKENNTNIS, daß zur Beseitigung der bestehenden Hindernisse ein einverständliches
Vorgehen erforderlich ist, um eine beständige Wirtschaftsausweitung, einen
ausgewogenen Handelsverkehr und einen redlichen Wettbewerb zu gewährleisten,
IN DEM BESTREBEN, ihre Volkswirtschaften zu einigen und deren harmonische
Entwicklung zu fördern, indem sie den Abstand zwischen einzelnen Gebieten und
den Rückstand weniger begünstigter Gebiete verringern,
IN DEM WUNSCH, durch eine gemeinsame Handelspolitik zur fortschreitenden
Beseitigung der Beschränkungen im zwischenstaatlichen Wirtschaftsverkehr
beizutragen,
IN DER ABSICHT, die Verbundenheit Europas mit den überseeischen Ländern zu
bekräftigen, und in dem Wunsch, entsprechend den Grundsätzen der Satzung der
Vereinten Nationen den Wohlstand der überseeischen Länder zu fördern,
ENTSCHLOSSEN, durch diesen Zusammenschluß ihrer Wirtschaftskräfte, Frieden und
Freiheit zu wahren und zu festigen, und mit der Aufforderung an die anderen Völker
Europas, die sich zu dem gleichen hohen Ziel bekennen, sich diesen Bestrebungen
anzuschließen -
HABEN BESCHLOSSEN, eine Europäische Wirtschaftsgemeinschaft zu gründen; sie
haben zu diesem Zweck zu ihren Bevollmächtigten ernannt:
Seine Majestät der König der Belgier:
Herrn Paul-Henri Spaak, Minister für Auswärtige Angelegenheiten,
Baron J. Ch. Snoy et d'Oppuers, Generalsekretär des Wirtschaftsministeriums,
Leiter der belgischen Delegation bei der Regierungskonferenz;
Der Präsident der Bundesrepublik Deutschland:
Herrn Dr. Konrad Adenauer, Bundeskanzler,
Herrn Professor Dr. Walter Hallstein, Staatssekretär des Auswärtigen Amts;
Der Präsident der Französischen Republik;
Herrn Christian Pineau, Minister für Auswärtige Angelegenheiten,
Herrn Maurice Faure, Staatssekretär für Auswärtige Angelegenheiten;
Der Präsident der Italienischen Republik:
Herrn Antonio Segni, Ministerpräsident,
Herrn Professor Gaetano Martino, Minister für Auswärtige Angelegenheiten;
Ihre Königliche Hoheit die Großherzogin von Luxemburg:
Herrn Joseph Bech, Staatsminister, Minister für Auswärtige Angelegenheiten,
Herrn Lambert Schaus, Botschafter, Leiter der luxemburgischen Delegation bei der
Regierungskonferenz;
Ihre Majestät die Königin der Niederlande:
Herrn Joseph Luns, Minister für Auswärtige Angelegenheiten,
Herrn J. Linthorst Homan, Leiter der niederländischen Delegation bei der
Regierungskonferenz;
DIESE SIND nach Austausch ihrer als gut und gehörig befundenen Vollmachten wie
folgt übereingekommen:
Erster Teil
Grundsätze
Artikel 1
Durch diesen Vertrag gründen die Hohen Vertragsparteien untereinander eine
EUROPÄISCHE WIRTSCHAFTSGEMEINSCHAFT.
Artikel 2
Aufgabe der Gemeinschaft ist es, durch die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes
und die schrittweise Annäherung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten eine
harmonische Entwicklung des Wirtschaftslebens innerhalb der Gemeinschaft, eine
beständige und ausgewogene Wirtschaftsausweitung, eine größere Stabilität,
eine beschleunigte Hebung der Lebenshaltung und engere Beziehungen zwischen den
Staaten zu fördern, die in dieser Gemeinschaft zusammengeschlossen sind.
Artikel 3
Die Tätigkeit der Gemeinschaft im Sinne des Artikels 2 umfaßt nach Maßgabe
dieses Vertrags und der darin vorgesehenen Zeitfolge
a) die Abschaffung der Zölle und mengenmäßigen Beschränkungen bei der Ein-
und Ausfuhr von Waren sowie aller sonstigen Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen
den Mitgliedstaaten;
b) die Einführung eines Gemeinsamen Zolltarifs und einer gemeinsamen
Handelspolitik gegenüber dritten Ländern;
c) die Beseitigung der Hindernisse für den freien Personen-, Dienstleistungs-
und Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten;
d) die Einführung einer gemeinsamen Politik auf dem Gebiet der Landwirtschaft;
e) die Einführung einer gemeinsamen Politik auf dem Gebiet des Verkehrs;
f) die Errichtung eines Systems, das den Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen
Marktes vor Verfälschungen schützt;
g) die Anwendung von Verfahren, welche die Koordinierung der Wirtschaftspolitik
der Mitgliedstaaten und die Behebung von Störungen im Gleichgewicht ihrer
Zahlungsbilanzen ermöglichen;
h) die Angleichung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften, soweit dies für das
ordnungsmäßige Funktionieren des Gemeinsamen Marktes erforderlich ist;
i) die Schaffung eines Europäischen Sozialfonds, um die Beschäftigungsmöglichkeiten
der Arbeitnehmer zu verbessern und zur Hebung ihrer Lebenshaltung beizutragen;
j) die Errichtung einer Europäischen Investitionsbank, um durch Erschließung
neuer Hilfsquellen die wirtschaftliche Ausweitung in der Gemeinschaft zu
erleichtern;
k) die Assoziierung der überseeischen Länder und Hoheitsgebiete, um den
Handelsverkehr zu steigern und die wirtschaftliche und soziale Entwicklung durch
gemeinsame Bemühungen zu fördern.
Artikel 4
(1) Die der Gemeinschaft zugewiesenen Aufgaben werden durch folgende Organe
wahrgenommen:
eine Versammlung;
einen Rat,
eine Kommission,
einen Gerichtshof.
Jedes Organ handelt nach Maßgabe der ihm in diesem Vertrag zugewiesenen
Befugnisse.
(2) Der Rat und die Kommission werden von einem Wirtschafts- und Sozialausschuß
mit beratender Aufgabe unterstützt.
Artikel 5
Die Mitgliedstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder
besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus diesem Vertrag
oder aus Handlungen der Organe der Gemeinschaft ergeben. Sie erleichtern dieser
die Erfüllung ihrer Aufgabe.
Sie unterlassen alle Maßnahmen, welche die Verwirklichung der Ziele dieses
Vertrags gefährden konnten.
Artikel 6
(1) Die Mitgliedstaaten koordinieren in enger Zusammenarbeit mit den Organen der
Gemeinschaft ihre Wirtschaftspolitik, soweit dies zur Erreichung der Ziele
dieses Vertrags erforderlich ist.
(2) Die Organe der Gemeinschaft achten darauf, die innere und äußere
finanzielle Stabilität der Mitgliedstaaten nicht zu gefährden.
Artikel 7
Unbeschadet besonderer Bestimmungen dieses Vertrags ist in seinem
Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit
verboten.
Der Rat kann mit qualifizierter Mehrheit auf Vorschlag der Kommission und nach
Anhörung der Versammlung Regelungen für das Verbot solcher Diskriminierungen
treffen.
Artikel 8
(1) Der Gemeinsame Markt wird während einer Übergangszeit von zwölf Jahren
schrittweise verwirklicht. Die Übergangszeit besteht aus drei Stufen von je
vier Jahren; die Dauer jeder Stufe kann nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen
geändert werden.
(2) Jeder Stufe entspricht eine Gesamtheit von Maßnahmen, die zusammen
eingeleitet und durchgeführt werden müssen.
(3) Der Übergang von der ersten zur zweiten Stufe hängt von der Feststellung
ab, daß die in diesem Vertrag für die erste Stufe ausdrücklich festgelegten
Ziele im wesentlichen tatsächlich erreicht und daß vorbehaltlich der in diesem
Vertrag vorgesehenen Ausnahmen und Verfahren die Verpflichtungen eingehalten
worden sind. [. . .]
(4) Verbleibt ein Mitgliedstaat in der Minderheit, so kann er binnen einem Monat
nach der zuletzt genannten Abstimmung beim Rat die Bestellung einer
Schiedsstelle beantragen, deren Entscheidung für alle Mitgliedstaaten und für
die Organe der Gemeinschaft verbindlich ist; wird die erforderliche Mehrheit
nicht erreicht, so gilt das gleiche für jeden Mitgliedstaat. Die Schiedsstelle
besteht aus drei Mitgliedern, die vom Rat einstimmig auf Vorschlag der
Kommission bestellt werden.
Kommt die Bestellung durch den Rat binnen einem Monat nach Antragstellung nicht
zustande, so werden die Mitglieder der Schiedsstelle innerhalb eines weiteren
Monats vom Gerichtshof bestellt.
Die Schiedsstelle wählt ihren Vorsitzenden selbst.
Sie erläßt ihren Schiedsspruch binnen sechs Monaten nach der im letzten
Unterabsatz von Absatz (3) genannten Abstimmung des Rates.
(5) Die zweite und die dritte Stufe können nur durch eine einstimmige, vom Rat
auf Vorschlag der Kommission erlassene Entscheidung verlängert oder abgekürzt
werden.
(6) Die Bestimmungen der vorstehenden Absätze dürfen nicht zur Folge haben, daß
die Übergangszeit länger als fünfzehn Jahre, vom Inkrafttreten dieses
Vertrags an gerechnet, dauert.
(7) Vorbehaltlich der in diesem Vertrag vorgesehenen Ausnahmen oder Abweichungen
ist das Ende der Übergangszeit gleichzeitig der Endtermin für das
Inkrafttreten aller vorgesehenen Vorschriften sowie für die Durchführung aller
Maßnahmen, die zur Errichtung des Gemeinsamen Marktes gehören.
[. . .]
[Artikel 248]
Dieser Vertrag ist in einer Urschrift in deutscher, französischer,
italienischer und niederländischer Sprache abgefaßt, wobei jeder Wortlaut
gleichermaßen verbindlich ist; er wird im Archiv der Regierung der
Italienischen Republik hinterlegt; diese übermittelt der Regierung jedes
anderen Unterzeichnerstaates eine beglaubigte Abschrift.
ZU URKUND DESSEN haben die unterzeichneten Bevollmächtigten ihre Unterschriften
unter diesen Vertrag gesetzt.
Geschehen zu Rom am fünfundzwanzigsten März neunzehnhundertsiebenundfünfzig.
P. H. Spaak
J. Ch. Snoy et d'Oppuers
Adenauer
Hallstein
Pineau
M. Faure
Antonio Segni
Gaetano Martino
Bech
Lambert Schaus
J. Luns
J. Linthorst Homan"
Quelle:
Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 2. Wahlperiode, 1953, Drucksache Nr.
3434, Anlage B, S. 6-36
Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Vertragsarchiv
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