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(E. Eyck)
Das Sozialistengesetz hat die Presse und die
Organisation der sozialdemokratischen Partei vollkommen zerstört. Die
schwachen Rechtsgarantien, die es enthielt, wurden durch die Praxis der
Polizei tatsächlich außer Kraft gesetzt. Sozialistische Politiker und
Agitatoren wurden aus vielen Städten in der brutalsten Weise
vertrieben. In einer Zeit, die so viel politische Verfolgungen erlebt
hat, wie die unsrige, verdient es jedoch hervorgehoben zu werden, daß
das Recht, einen Sozialdemokraten in den Reichstag zu wählen,
ebensowenig beseitigt wurde, wie das Recht der sozialdemokratischen
Abgeordneten, von der parlamentarischen Redefreiheit den weitesten
Gebrauch zu machen. So stark war immerhin der liberale Geist des
Zeitalters, daß selbst ein Bismarck nicht daran zu rühren wagte. Aber
auch so war das Gesetz ein äußerst kräftiger und rücksichtsloser
Eingriff in die sozialistische Bewegung. Und trotzdem war sein Erfolg
gleich null. Auf die Dauer vermochte es durchaus nicht, das Anwachsen
der sozialdemokratischen Stimmen zu verhindern. Allerdings trat 1881 ein
Rückgang ein. Aber er war nur vorübergehend. Trotz der Unterdrückung
ihrer Agitation in Presse und Versammlung stiegen die
sozialdemokratischen Stimmen bei der Reichstagswahl von 1884 auf 550000,
1887 auf 763000 und 1890 auf 1427000. Gemessen an seinen Absichten, war
das Gesetz ein vollkommener Fehlschlag. Die Gewaltpolitik Bismarcks
versagte gegenüber den Sozialdemokraten ebenso, wie sie dem
katholischen Klerus gegenüber versagt hatte. Den schwersten Schaden
erlitten die Nationalliberalen, die ihn wenigstens im Anfang
unterstützt hatten. Denn sie hatten ihre Grundsätze preisgegeben, und
das ist für eine politische Partei die Sünde, für die es keine
Vergebung gibt. Das Tragische ist, daß dieses Opfer des Intellekts
völlig vergeblich war. Es dauerte nur ein Jahr, so hatten sie
aufgehört, die Partei Bismarcks zu sein, ja sie mußten erleben, daß
er sich ihrem schärfsten Gegner zuwandte, um mit dessen Hilfe sie ihrer
parlamentarischen Position und ihres politischen Ansehens zu berauben.
E. Eyck: Bismarck und das Deutsche Reich,
Erlenbach-Zürich/Stuttgart 1955, S. 305f.
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