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Wien, am 22. Juli,1914
Euer Hochwohlgeboren wollen die nachfolgende Note am Donnerstag, den 23. Juli
nachm., der königlichen Regierung überreichen:
»Am 31. März 1909 hat der königlich serbische Gesandte am Wiener Hofe im
Auftrage seiner Regierung der k. und k. Regierung folgende Erklärung abgegeben:
,Serbien anerkennt, daß es durch die in Bosnien geschaffene Tatsache in
seinen Rechten nicht berührt wurde und daß es sich demgemäß den Entschließungen
anpassen wird, welche die Mächte in Bezug auf den Artikel 25 des Berliner
Vertrages treffen werden. Indem Serbien den Ratschlägen der Großmächte Folge
leistet, verpflichtet es sich, die Haltung des Protestes und des Widerstandes,
die es hinsichtlich der Annexion seit dem vergangenen Oktober eingenommen hat,
aufzugeben, und es verpflichtet sich ferner, die Richtung seiner gegenwärtigen
Politik gegenüber Österreich-Ungarn zu ändern und künftighin mit diesem
letzteren auf dem Fuße freundnachbarlicher Beziehungen zu leben.'
Die Geschichte der letzten Jahre nun, und insbesondere die schmerzlichen
Ereignisse des 28. Juni haben das Vorhandensein einer subversiven Bewegung in
Serbien erwiesen, deren Ziel es ist, von der österreichisch-ungarischen
Monarchie gewisse Teile ihres Gebietes loszutrennen. Diese Bewegung, die unter
den Augen der serbischen Regierung entstand, hat in der Folge jenseits des
Gebietes des Königreiches durch Akte des Terrorismus, durch eine Reihe von
Attentaten und durch Morde Ausdruck gefunden.
Weit entfernt, die in der Erklärung vom 31. März 1909 enthaltenen formellen
Verpflichtungen zu erfüllen, hat die k. serbische Regierung nichts getan, um
diese Bewegung zu unterdrücken. Sie duldete das verbrecherische Treiben der
verschiedenen, gegen die Monarchie gerichteten Vereine und Vereinigungen, die zügellose
Sprache der Presse, die Verherrlichung der Urheber von Attentaten, die Teilnahme
von Offizieren und Beamten an subversiven Umtrieben, sie duldete eine ungesunde
Propaganda im öffentlichen Unterricht und duldete schließlich alle
Manifestationen, welche die serbische Bevölkerung zum Hasse gegen die Monarchie
und zur Verachtung ihrer Einrichtungen verleiten können.
Diese Duldung, der sich die k. serbische Regierung schuldig machte, hat noch
in jenem Moment angedauert, in dem die Ereignisse des 28. Juni der ganzen Welt
die grauenhaften Folgen solcher Duldung zeigten.
Es erhellt aus den Aussagen und Geständnissen der verbrecherischen Urheber
des Attentates vom 28. Juni, daß der Mord von Sarajevo in Belgrad ausgeheckt
wurde, daß die Mörder die Waffen und Bomben, mit denen sie ausgestattet waren,
von serbischen Offizieren und Beamten erhielten, die der »Narodna Odbrana«
angehörten, und daß schließlich die Beförderung der Verbrecher und deren
Waffen nach Bosnien von leitenden serbischen Grenzorganen veranstaltet und
durchgeführt wurde.
Die angeführten Ergebnisse der Untersuchung gestattes es der k. und k.
Regierung nicht, noch länger die Haltung zuwartender Langmut zu beobachten, die
sie durch Jahre jenen Treibereien gegenüber eingenommen hatte, die ihren
Mittelpunkt in Belgrad haben und von da auf die Gebiete der Monarchie übertragen
werden. Diese Ergebnisse legen der k. und k. Regierung vielmehr die Pflicht auf,
Umtrieben ein Ende zu bereiten, die eine ständige Bedrohung für die Ruhe der
Monarchie bilden.
Um diesen Zweck zu erreichen, sieht sich die k. und k. Regierung gezwungen,
von der serbischen Regierung eine offizielle Versicherung zu verlangen, daß sie
die gegen Österreich-Ungarn gerichtete Propaganda verurteilt, das heißt die
Gesamtheit der Bestrebungen, deren Endziel es ist, von der Monarchie Gebiete
loszulösen, die ihr angehören, und daß sie sich verpflichtet, diese
verbrecherische und terroristische Propaganda mit allen Mitteln zu unterdrücken.
Um diesen Verpflichtungen einen feierlichen Charakter zu geben, wird die k.
serbische Regierung auf der ersten Seite ihres offiziellen Organs vom 26./13.
Juli nachfolgende Erklärung veröffentlichen:
- ,Die k. Serbische Regierung verurteilt die gegen Österreich-Ungarn
gerichtete Propaganda, das heißt die Gesamtheit jener Bestrebungen, deren
letztes Ziel es ist, von der österreichisch-ungarischen Monarchie Gebiete
loszutrennen, die ihr angehören, und sie bedauert aufrichtigst die
grauenhaften Folgen dieser verbrecherischen Handlungen.
Die k. Serbische Regierung bedauert, daß serbische Offiziere und Beamte
an der vorgenannten Propaganda teilgenommen und damit die
freundnachbarlichen Beziehungen gefährdet haben, die zu pflegen sich die k.
Regierung durch ihre Erklärung vom 31. März 1909 feierlichst verpflichtet
hatte.
Die k. Regierung, die jeden Gedanken oder jeden Versuch einer Einmischung
in die Geschicke der Bewohner was immer für eines Teiles Österreich-Ungarns
mißbilligt und zurückweist, erachtet es für ihre Pflicht, die Offiziere,
Beamten und die gesamte Bevölkerung des Königreiches ganz ausdrücklich
aufmerksam zu machen, daß sie künftighin mit äußerster Strenge gegen
jene Personen vorgehen wird, die sich derartiger Handlungen schuldig machen
sollten, Handlungen, denen vorzubeugen und die zu unterdrücken sie alle
Anstrengungen machen wird.'
Diese Erklärung wird gleichzeitig zur Kenntnis der k. Armee durch einen
Tagesbefehl Sr. M. des Königs gebracht und in dem offiziellen Organe der Armee
veröffentlicht werden.
Die k. Serbische Regierung verpflichtet sich überdies:
- 1. jede Publikation zu unterdrücken, die zum Haß und zur Verachtung der
Monarchie aufreizt, und deren allgemeine Tendenz gegen die territoriale
Integrität der letzteren gerichtet ist,
2. sofort mit der Auflösung des Vereines »Narodna Odbrana« vorzugehen,
dessen gesamte Progagandamittel zu konfiszieren und in derselben Weise gegen
die anderen Vereine und Vereinigungen in Serbien einzuschreiten, die sich
mit der Propaganda gegen Österreich-Ungarn beschäftigen; die k. Regierung
wird die nötigen Maßregeln treffen, damit die aufgelösten Vereine nicht
etwa ihre Tätigkeit unter anderem Namen oder in anderer Form fortsetzen,
3. ohne Verzug aus dem öffentlichen Unterricht in Serbien, sowohl was
den Lehrkörper als auch die Lehrmittel betrifft, alles zu beseitigen, was
dazu dient oder dienen könnte, die Propaganda gegen Österreich-Ungarn zu nähren,
4. aus dem Militärdienst und der Verwaltung im allgemeinen alle
Offiziere und Beamten zu entfernen, die der Propaganda gegen Österreich-Ungarn
schuldig sind, und deren Namen unter Mitteilung des gegen sie vorliegenden
Materials der k. Regierung bekanntzugeben sich die k. und k. Regierung
vorbehält,
5. einzuwilligen, daß in Serbien Organe der k. und k. Regierung bei der
Unterdrückung der gegen die territoriale Integrität der Monarchie
gerichteten subversiven Bewegung mitwirken,
6. eine gerichtliche Untersuchung gegen jene Teilnehmen des Komplotts vom
28. Juni einzuleiten, die sich auf serbischem Territorium befinden; von der
k. und k. Regierung hiezu delegierte Organe werden an den bezüglichen
Erhebungen teilnehmen,
7. mit aller Beschleunigung die Verhaftung des Majors Voija Takositsch
und eines gewissen Milan Ciganovitsch, serbischen Staatsbeamten,
vorzunehmen, welche durch die Ergebnisse der Untersuchung kompromittiert
sind,
8. durch wirksame Maßnahmen die Teilnahme der serbischen Behörden an
dem Einschmuggeln von Waffen und Explosivkörpern über die Grenze zu
verhindern; jene Organe des Grenzdienstes von Schabatz und Losnitza, die den
Urhebern des Verbrechens von Sarajevo bei dem Übertritt über die Grenze
behilflich waren, aus dem Dienste zu entlassen und strenge zu bestrafen,
9. der k. und k. Regierung Aufklärungen zu geben über die nicht zu
rechtfertigenden Äußerungen hoher serbischer Funktionäre in Serbien und
im Auslande, die, ihrer offiziellen Stellung ungeachtet, nicht gezögert
haben, sich nach dem Attentat am 28. Juni in Interviews in feindlicher Weise
gegen Österreich-Ungarn auszusprechen,
10. die k. und k. Regierung ohne Verzug von der Durchführung der in den
vorigen Punkten zusammengefaßten Maßnahmen zu verständigen.
Die k. und k. Regierung erwartet die Antwort der k. Regierung spätestens bis
Samstag, den 25. d. M., um 6 Uhr nachmittag.
Eine Memoire über die Ergebnisse der Untersuchung von Sarajevo, soweit sie
sich auf die im Punkt 7 und 8 genannten Funktionäre beziehen, ist dieser Note
beigeschlossen.«
Beilage:
Die bei dem Gerichte in Sarajevo gegen Gavrilo Princip und Genossen wegen des
am 28. Juni d. J. begangenen Meuchelmordes, beziehungsweise wegen Mitschuld
hieran anhängige Strafuntersuchung hat bisher zu folgenden Feststellungen geführt:
1. Der Plan, den Erzherzog Franz Ferdinand während seines Aufenthaltes in
Sarajevo zu ermorden, wurde in Belgrad von Gavrilo Princip, Nedeljko
Cabrinovitsch, einem gewissen Milan Ciganovitsch und Trifko Grabesch unter
Beihilfe des Majors Voija Takositsch gefaßt.
2. Die sechs Bomben und vier Browningpistolen samt Munition, deren sich die
Verbrecher als Werkzeuge bedienten, wurden dem Princip, Cabrinovitsch und
Grabesch in Belgrad von einem gewissen Milan Ciganovitsch und dem Major Voija
Takositsch verschafft und übergeben.
3. Die Bomben sind Handgranaten, die dem Waffendepot der serbischen Armee in
Kragujevatz entstammen.
4. Um das Gelingen des Attentats zu sichern, unterwies Ciganovitsch den
Princip, Cabrinovitsch und Grabesch in der Handhabung der Granaten und gab in
einem Walde neben dem Schießfelde von Topschider dem Princip und Grabesch
Unterricht im Schießen mit Browningpistolen.
5. Um dem Princip, Cabrinovitsch und Grabesch den Übergang über die
bosnisch-herzegowinische Grenze und die Einschmuggelung ihrer Waffen zu ermöglichen,
wurde ein ganzes geheimes Transportsystem durch Ciganovitsch organisiert. Der
Eintritt der Verbrecher samt ihren Waffen nach Bosnien und der Herzegowina wurde
von den Grenzhauptleuten von Schabatz (Rade Popovitsch) und Losnitza sowie von
dem Zollorgan Budivoj Grbitsch von Losnitza mit Beihilfe mehrer anderer Personen
durchgeführt.
Gelegentlich der Übergabe der vorstehenden Note wollen Euer Hochwohlgeboren
mündlich hinzufügen, daß Sie beauftragt seien -- falls Ihnen nicht inzwischen
eine vorbehaltlose zustimmende Antwort der königlichen Regierung zugekommen
sein sollte -- nach Ablauf der in der Note vorgesehenen, vom Tage und von der
Stunde Ihrer Mitteilung an zu rechnenden 48stündigen Frist mit dem Personale
der k. und k. Gesandtschaft Belgrad zu verlassen.
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